Very Rickenbacher und »Gute Nacht«
Seit ein paar Wochen ist Very Rickenbacher wieder Dirigent der »Blaskapelle Rigispatzen«, die er zuletzt von 2003 bis 2017 geleitet hatte. Rickenbacher wird die Kapelle nun bis zum Abschiedskonzert im kommenden Jahr dirigieren. Womöglich schließt sich für ihn dann ein Kreis, wenn die »Rigispatzen« an diesem Konzertabend im April 2026 zum letzten Mal »Gute Nacht« zu ihren Fans sagen. Denn genau dieser Titel begleitet Very Rickenbacher schon seit den 1980er Jahren, als er sein erstes Engagement als Dirigent hatte. . .
27 Jahre jung war Very Rickenbacher, als er Mitte der 1980er Jahre die Musikgesellschaft Immensee als Dirigent übernahm. Eine besondere Situation für ihn, lernte er doch in seiner Heimatkapelle in Immensee ab 1971 schon die Grundzüge der Blasmusik und des Musizierens auf dem Tenorhorn kennen. »Ich war dort als Jungbläser aktiv, spielte dann einige Zeit in der Stammkapelle mit, bis ich aus beruflichen Gründen nach Alpnach gezogen bin«, informiert Rickenbacher. Später ergab es sich, dass er 1984 als musikalischer Leiter in seine Heimat zurückkehrte und damit seine erste Stelle als Dirigent annahm.

Gebhard Friedrich Xaver »Very« Rickenbacher
wurde 1957 in Immensee am Zugersee im Schweizer Kanton Schwyz geboren. Bei der Musikgesellschaft Immensee begann 1971 sein Grundkurs am Tenorhorn. Des Weiteren spielt er Blockflöte, Altflöte, Klavier und Kirchenorgel sowie Eufonium und Bariton. Schwyzerörgeli lernte er autodidaktisch.
Ab den 1970er Jahren spielte er bei der Musikgesellschaft Immensee (1972 bis 1978), bei der Seminarmusik Rickenbach SZ (1973 bis 1978), bei der Spiel-RS in Aarau (1977) und der Musikgesellschaft Alpnach (1978 bis 1983). Im selben Zeitraum war er Mitglied der Jodlergruppe Bärgröseli Alpnachstad, von 1979 bis 1989 des Spiel Geb. Infanterie-Regiment 29.
Seit 1975 bis heute, ist er – mit Unterbrechungen – Musiker bzw. Dirigent der Blaskapelle Rigispatzen. Als Dirigent leitete er auch die Musikgesellschaft Immensee und die Feldmusik Udligenswil.
Gemeinsam mit seinem Sohn Roland betreibt er den VEROL Notenverlag, über den die Kompositionen der beiden erhältlich sind. Als Komponist machte sich Very Rickenbacher u.a. mit »Ein halbes Jahrhundert«, »Das Bänklein am See« und »Kirschblütenzauber« einen Namen. Seine Polka »Einfach so« spendierte er 2017 anlässlich seines 60. Geburtstag der Mucke-Leserschaft als »Mucke(r)-Zuckerl«.
Im Oktober 2024 wurde Rickenbacher der »Goldene Violinschlüssel«, die höchste Volksmusik-Auszeichnung der Schweiz, verliehen. Very Rickenbacher ist seit Sommer 2021 pensionierter Primarlehrer. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne, sowie eine Tochter.
Vielfalt beim Jahreskonzert
»Wir spielten in Brass Band Besetzung. Nicht ganz nach dem englischen Vorbild, aber auf jeden Fall ohne Holzblasinstrumente. Trotzdem war es damals schon wichtig für mich, dass wenigstens eine Polka im Programm des Jahreskonzertes seinen Platz findet«, bekennt er. Für manch anderen wäre vermutlich alleine die Besetzung schon Grund genug gewesen, sich nicht an einer Polka zu versuchen – so ganz ohne Klarinetten, die ja laut Ernst Mosch ein »notwendiges Übel« in der traditionellen Blasmusik seien. Der junge Dirigent Very Rickenbacher dagegen sah das nicht so eng und bestand grundsätzlich auf eine gewisse Vielfalt im Konzertprogramm. So landete zum Beispiel auch die eine oder andere Ouvertüre auf den Notenständern seiner Musiker…
In der Vorbereitung für das Jahreskonzert 1986 jedenfalls stieß Rickenbacher auf die Gesangspolka »Gute Nacht« von Jaroslav Procházka mit dem deutschen Text von Gerald Weinkopf. Das Stück war ihm nicht unbekannt, hörte er es doch schon 15 Jahre zuvor – live von den »Original Egerländer Musikanten« in seinem Erstkontakt mit Ernst Mosch beim Konzert in Oberrüti, zu dem ihn sein Bruder Balz mitgenommen hatte. »Richtig gepackt« habe ihn diese Musik damals, so Rickenbacher. Und nun wollte also er selbst diese Musik als Dirigent auf die Konzertbühne bringen.
Ein bisschen Spaß muss sein…
»Ich muss schon sagen«, wirft Rickenbacher energisch ein, »dass ich in der traditionellen Blasmusik nicht der größte Freund von Gesangsduos bin! Für mich kann leicht einmal zu viel gesungen werden. Und eigentlich höre ich lieber rein instrumentale Stücke.« Wenn es jedoch stimmlich passe, ergänzt der Blasmusikkenner, sei natürlich gegen die eine oder andere Gesangseinlage nichts einzuwenden. So blieb es auch bei besagtem Jahreskonzert der Musikgesellschaft Immensee dabei: »Gute Nacht« wird mit Gesang aufgeführt! »Wir haben gesungen, mein Kollege Res Lüthold und ich«, erzählt Rickenbacher und schmunzelt. »Aber nicht einfach so. Wir haben uns mit Nachthemd, Zipfelmütze, Kissen und einer Kerze ausgestattet und traten dann in dieser Verkleidung auf die Bühne. Das war natürlich eine riesen Gaudi für die Konzertbesucher. Und die Aufführung der Polka hat gut geklappt«, freut sich der 67-jährige noch heute.
An negative Kritik zu dieser ulkigen Auftritt kann sich der Dirigent nicht erinnern. Im Gegenteil. Denn zur damaligen Zeit, so Rickenbacher, machte man in der Region solche Einlagen mit Theater oder Ähnlichem einfach noch nicht. Es sei überraschend gewesen, damit habe niemand rechnen können. »Wir haben ›Gute Nacht‹ nicht ins Lächerliche gezogen und haben wirklich anständig gesungen! Wir haben das – bei aller Gaudi – seriös über die Bühne gebracht. Und die Konzertbesucher haben das genossen, die haben sich richtig über diese Einlage gefreut! Wir haben in den Folgejahren beim einen oder anderen Stück zwar noch Ähnliches auf die Bühne gebracht, aber die Gags waren schon nicht mehr so gut. Deshalb haben wir es irgendwann auch wieder gelassen«.

Dankbarkeit
Natürlich war ein Musikstück mit einem so unmissverständlichen Titel wie »Gute Nacht« eine Steilvorlage für die entsprechende visuelle Umsetzung, die bei der Musikgesellschaft Immensee grandios funktionierte. Jedoch ist es heute gar nicht alleine die Erinnerung an diese Einlage, die die Polka für Very Rickenbacher so legendär macht, wie er erklärt: »Was mir an dieser Polka so gefällt, ist diese Dankbarkeit, die im Text mitschwingt – auch wenn ich glaube, dass das Gefühl der Dankbarkeit eine Alterserscheinung ist – also wenn man beispielsweise für die eigene Gesundheit dankbar ist oder darüber, dass man an einem schönen Ort wohnen darf. Im Stück geht es in meinen Augen um die Dankbarkeit, dass man zufrieden auf den Tag zurückblicken kann: ›Nun ist auch dieser schöne Tag vollbracht‹. Dankbarkeit, für eine Kameradschaft… ›Wir grüßen alle uns’re Freunde‹. Das spricht mich an.« Die Komposition als solches, bemerkt Very Rickenbacher, stelle für ihn persönlich nichts Herausragendes dar. »Eine schöne, einfache und gefällige Polka zwar, die man instrumental aber nicht unbedingt spielen müsste. »Es ist hier wirklich das Gesamtpaket mit dem Text, das einen an dieser alten Polka auch heute noch packt.«
Als Kenner der Blasmusikszene bringt Very Rickenbacher noch einen interessanten Schlussgedanken ein: Musikvereine spielen bei ihren Konzerten bisweilen zu viele schwierige Werke, die die Zuhörer oft gar nicht verstehen können. Wird dann als Zugabe jedoch eine Polka oder ein Marsch aufgelegt, fällt auf: die Konzertbesucher sind ja wieder richtig wach! Das zeigt: gefällige Musik und schöne Melodien werden vom Publikum mehr honoriert, als die »große Kunst«, die oft in Form von großen Blasorchesterwerken daherkommt. »Wobei es ja gerade die große Kunst ist«, bemerkt Very Rickenbacher, »eine vermeintlich einfache Polka wie ›Gute Nacht‹ so wertzuschätzen, ernsthaft zu proben und auf die Konzertbühne zu bringen, dass sie bei den Zuhörern entsprechend ankommt.« So mancher Konzertbesucher wäre sicherlich dankbar dafür – auch wenn das Gesangsduo dann nicht im Schlafanzug und Kissen in der Hand auf der Bühne stehen würde.
Christian Mayr